Gastvortrag: „Die Reichweite der Prinzipien unserer Moral“ (Dr. Christian Kietzmann)

Wir laden herzlich ein zum Gastvortrag

„Die Reichweite der Prinzipien unserer Moral“

von Herrn Dr. Christian Kietzmann (Erlangen-Nürnberg).

Der Vortrag findet statt am Donnerstag, 04. Juli, um 18 Uhr c.t. in Raum B 18.

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Abstract: 

Neo-Kantianer wie Christine Korsgaard oder Stephen Engstrom und von Wittgenstein inspirierte Neo-Aristoteliker wie G.E.M. Anscombe, Peter T. Geach, Philippa Foot, Anselm W. Müller oder Michael Thompson sind sich in einigen zentralen Punkten einig: Es gibt praktische Vernunft; wenn es praktische Vernunft gibt, dann gibt es auch so etwas wie Prinzipien der praktischen Vernunft; und die Gesetze der Moral bilden einen Teil der Prinzipien der praktischen Vernunft. Natürlich unterscheiden sich die genannten Philosophen z.T. tiefgehend darin, wie sie diese Thesen genau ausbuchstabieren; davon will ich hier jedoch weitgehend absehen. Mich interessiert ein anderer gravierender Unterschied zwischen diesen Theoriefamilien. Er betrifft die Reichweite der moralischen Vernunftprinzipien. Neo-Kantianer glauben, dass sie für alle vernünftigen Wesen gelten. Neo-Aristoteliker beschränken ihre Reichweite dagegen auf eine bestimmte biologische Spezies: auf uns Menschen.

Neo-Kantianer argumentieren in etwa so: Indem ich praktisch urteile, dass ich A tun soll, verstehe ich das Urteil als allgemeingültig. Ich gehe erstens davon aus, dass jeder andere vernünftig Denkende in einer zu meiner eigenen analogen Situation genauso urteilen würde wie ich. Und ich nehme zweitens an, dass ich auch in anderen relevant gleichen Situationen dasselbe urteilen würde. Dieser Charakter des praktischen Urteils ist nicht damit vereinbar, dass die Prinzipien, nach denen praktisch geurteilt wird, eine andere Quelle haben als die reine praktische Vernunft. Sie gelten damit für alle vernünftigen Wesen – für jeden, der überhaupt praktisch denkt und handelt.

Neo-Aristoteliker halten das Folgende dagegen: Handeln und praktisches Denken sind Lebensprozesse. Das bedeutet, dass die Prinzipien, nach denen Handeln und praktisches Denken erfolgen, Gesetze der Lebensform sind, zu der die Handelnden und Denkenden gehören. Für uns Menschen bedeutet das: Praktische Prinzipien sind Gesetze des menschlichen Lebens. Die Allgemeingültigkeit praktischer Urteile beschränkt sich damit auf alle Menschen.

Ich werde in meinem Vortrag beide Grundintuitionen miteinander konfrontieren. Dabei wird sich zeigen, dass eine Variante des Neo-Aristotelismus die befriedigendste Position in diesem Streit ist.