„Wir müssen Prüfungsformate überdenken“

Im Interview spricht Vizepräsident Prof. Dr. Matthias Busch darüber, wie ChatGPT und andere Künstliche Intelligenz (KI) Studium und Lehre verändern wird.

Future Learning Spaces
Durch die großen Displays in den Future Learning Spaces an der Universität Trier lassen sich von ChatGPT generierte Inhalte in der Gruppe gut diskutieren.

Welche hochschuldidaktischen Unterstützungsangebote gibt es für Lehrende, die ChatGPT einsetzen wollen?
Die Arbeitsstelle gute und innovative Lehre (AGIL) hat verschiedene Angebote geschaffen, die konkrete Weiterbildungs-, Anwendungskurse und gemeinsame Reflexionsveranstaltungen umfassen. Hierfür wurden auch die Anregungen der Lehrenden aus einer Kickoff-Veranstaltung und einem Barcamp im vergangenen Sommersemester aufgegriffen. Es gibt eine zentrale Webseite, die ständig aktualisiert wird, mit rechtlichen Tipps, Hinweisen und weiterführenden Links zum hochschuldidaktischen Einsatz von ChatGPT. Im Wintersemester wird außerdem eine Community of Pracitice zum Thema Künstliche Intelligenz an den Start gehen, die Möglichkeiten zum kollegialen Austausch über Erfahrungen und Best Practice bieten wird. Darüber hinaus hat zum Beispiel das Zentrum für Lehrerbildung gemeinsam mit anderen Zentren in Rheinland-Pfalz Diskussions- und Fortbildungsangebote zum Einsatz von Chat GPT im Unterricht und in der Lehramtsausbildung initiiert.

Haben wir vielleicht aufgrund unseres Fächerspektrums an der Universität Trier in Bezug auf ChatGPT und KI sogar eine besondere Expertise?
Ich glaube, wir sind in den verschiedenen Fächern in der Forschung sehr gut aufgestellt, zumal das Thema KI ja vielfältige Fragen beispielsweise der Sprach- und Medienwissenschaften, Informatik, Soziologie, Rechts- oder Wirtschaftswissenschaften tangiert. Durch zahlreiche interdisziplinäre Forschungsvorhaben, mit den Digital Humanities, im Bereich der Data Literacy oder der Digital History, aber auch als Standort des DFKI verfügen wir über eine herausragende Expertise, die sich durch eine enge Verzahnung von Forschung und Lehre auszeichnet. Gerade als geistes- und sozialwissenschaftliche Universität haben wir zugleich die Chance und Verantwortung, auch die ethischen, politischen, gesellschaftlichen und rechtlichen Fragestellungen, die sich mit der digitalen Transformation verbinden, in den öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskurs einzubringen.

Stichwort Data Literacy: Was sollte Studierenden im Hinblick auf dem Umgang mit ChatGPT vermittelt werden?
Letztlich ist ChatGPT nur so gut wie die Person, die sie bedient. Die richtigen Fragen zu stellen, die Grenzen und Risiken der KI zu kennen und ihre Funktionsweise zu verstehen, sind wichtige Voraussetzungen für ihre kompetente Nutzung. Als Werkzeug kann es die eigene Reflexion und fachliche Expertise nicht ersetzen, sondern nur unterstützen. Ich halte es daher für wichtig, mit Studierenden den Umgang mit ChatGPT kritisch zu reflektieren. Welchen Einfluss und Bias beispielsweise die Algorithmen und der der KI zugrundeliegende Textkorpus auf das Ergebnis haben, welche urheberrechtlichen, ethischen und gesellschaftlichen Herausforderungen mit der KI einhergehen, sollte diskutiert werden, um einen reflexiven Umgang mit ChatGPT zu fördern.

Wie setzen Studierende ChatGPT bereits heute ein?
Ich erlebe viele Studierende, die ChatGPT zielgerichtet und kreativ für den eigenen Arbeitsprozess nutzen. Viele Studierende setzen ChatGPT ein, um Ideen für den eigenen Schreibprozess zu generieren. Sie lassen sich Gliederungsvorschläge für eine Hausarbeit entwickeln oder trainieren für Klausuren und mündliche Prüfungen, indem sie von der KI passende Fragestellungen zu ihrem Thema produzieren lassen. Textbausteine und Formulierungsvorschläge werden als Impulse genutzt, um dann selbständig an den eigenen Texten weiterzuarbeiten.

Wir hatten an der Universität Trier bereits Fälle, in denen unerlaubterweise komplette Hausarbeiten von ChatGPT geschrieben wurden. Wie verändert ChatGPT Prüfungsformate?
ChatGPT erleichtert es auf den ersten Blick, insbesondere bei Hausarbeiten, zu betrügen, zumal der Nachweis des Betrugsversuchs deutlich schwieriger ist als bei herkömmlichen Plagiaten. Auch wenn die Ergebnisse bisher nur bedingt an gute bis sehr gute Leistungen heranreichen, besteht hier ein Problem. Das wird sich langfristig auch unter der Frage der Chancengerechtigkeit verschärfen, wenn KI-Angebote kostenpflichtig werden und damit die Qualität der KI-generierten Hausarbeit vom Geldbeutel der Studierenden abhängig wird. Umgekehrt birgt diese Entwicklung auch eine Chance: Wir sind gezwungen, darüber nachzudenken, ob das, was wir prüfen und wie wir prüfen, noch zeitgemäß und zukunftsorientiert ist. Eine Leistung, die problemlos von ChatGPT erbracht werden kann, ist dann vielleicht nicht mehr eine angemessene universitäre Prüfungsleistung für Studierende des 21. Jahrhunderts. Neben der Entwicklung neuer Prüfungsformate und -inhalte müssen wir uns und vor allem den Studierenden zugleich Rechenschaft darüber ablegen, welchen Sinn eine Aufgabenstellung hat und warum eine selbständige Bearbeitung für die wissenschaftliche Qualifizierung wichtig ist.

Wenn ich mich für ChatGPT und den Einsatz von künstlicher Intelligenz interessiere, welche Studiengänge an der Universität Trier kommen dann für mich in Frage?
Langfristig jeder. Wenn ich beispielsweise Pflegewissenschaft studiere, muss ich lernen, wie ich von KI erhobene Diagnostik-Daten interpretiere. In den Lehramtsstudiengängen bilden Fragen der Digitalisierung ein Querschnittsthema, das mit dem Profilbereich „Lehramt 3D“ an der Universität Trier in deutschlandweit einzigartiger Weise interdisziplinär verankert ist. Viele Studiengänge beispielsweise in den Sprach-, Kultur- und Medienwissenschaften bieten Gelegenheiten für eine fachspezifische Auseinandersetzung mit Fragen der Künstlichen Intelligenz. Wer aktiv die Entwicklung von Sprachmodellen und KI mitgestalten möchte, dem bietet die Universität Trier neben den Studiengängen der Informatik und Wirtschaftsinformatik beispielsweise den Bachelor-Studiengang „Sprache, Technologie, Medien“, das Nebenfach „Digitalisierung, Information und Gesellschaft“ oder die Master-Studiengänge „Natural Language Processing“, „Data Science“ und „Digital Humanities“ an.

Kontakt

Prof. Dr. Matthias Busch
Vizepräsident
Tel. +49 651 201- 2168
Mail buschmuni-trierde

Porträtfoto Matthias Busch, Foto von Vivian Werk

Prof. Dr. Matthias Busch ist Vizepräsident für Studium und Lehre und Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften. Foto: Vivian Werk

Was waren Ihre ersten Erfahrungen mit ChatGPT?
Wie vermutlich viele Nutzerinnen und Nutzer waren wir im Team zunächst fasziniert von den Möglichkeiten, die ChatGPT eröffnete. Viele Vorschläge für die Gliederung von Hausarbeiten, Definitionen für bestimmte Fachbegriffe oder Ideen für Forschungsvorhaben waren gar nicht schlecht. Blamabel schien es für uns zu werden, als ChatGPT einschlägige Quellenangaben von Kolleginnen und Kollegen benannte, die wir bei unseren Recherchen bisher offenbar übersehen hatten. Dass diese die KI frei erfunden hatte, zeigte sich dann allerdings schnell. Für die Suche nach Wahrheit, der sich Wissenschaft verpflichtet fühlt, ist ChatGPT damit nur begrenzt geeignet.

Ist ChatGPT Fluch oder Segen?
Diese Frage erscheint mir zu fatalistisch. ChatGPT birgt vielfältige Möglichkeiten, unser Leben zu verbessern. Es kann aber auch zu einer erheblichen Gefahr für die demokratische Gesellschaft werden, wenn es beispielsweise als Motor für Fake News den demokratischen Diskurs untergräbt oder soziale Ungleichheiten vergrößert. Es kommt daher entscheidend darauf an, neben den technischen Möglichkeiten auch die gesellschaftlichen Herausforderungen, die Macht- und Kapitalkonzentration, die mit der digitalen Transformation bisher einhergeht, Diskriminierungsrisiken von Algorithmen oder Fragen der demokratischen Kontrolle und Gestaltung in den Blick zu nehmen. Letztlich liegt es an uns, was wir aus ChatGPT machen.

Wie wird ChatGPT Studium und Lehre an der Universität Trier verändern?
Wir sind noch in einem Experimentierstadium. Künstliche Intelligenz stellt die Frage nach dem sozial geteilten Wissen neu. Sie verändert Arbeitswelt und Forschungsmethoden und wird entsprechend auch die hierfür notwendigen Kompetenzen, die wir im Studium fördern, und die curricularen Inhalte verändern. Aber auch für die methodische Gestaltung der universitären Lehre und das Prüfungswesen birgt ChatGPT vielfältige Chancen und Herausforderungen. ChatGPT ermöglicht uns beispielsweise, neue individualisierte Lernprozesse oder simulative Lernsettings zu gestalten. Zugleich werden wir Studienleistungen und Prüfungsformate wie Hausarbeiten überdenken müssen, um eine chancengerechte Bewertung sicherzustellen.

Haben Sie ein Beispiel aus der Lehre, wo ChatGPT bereits zum Einsatz kommt?
Ich nehme wahr, dass Kolleginnen und Kollegen ChatGPT auf vielfältige und kreative Weise in ihren Lehrveranstaltungen einsetzen und mit der neuen Technik kritisch reflexiv experimentieren. Beispielsweise gibt es Versuche, ChatGPT für die Unterrichtsplanung einzusetzen, um damit Lehrkräfte zu unterstützen, bestimmte didaktische Qualitätsstandards besser umzusetzen. Es gibt erste Erprobungen, mit ChatGPT Gesprächssimulationen und Rollenspiele zu gestalten, in denen Studierende spezifische fachliche Kommunikationssituationen üben können und durch die KI individuelle Feedbacks erhalten. Zugleich analysieren Kolleginnen und Kollegen in ihren Seminaren die Eignung des Chatbots für bestimmte Forschungsvorhaben, beispielsweise in der Datenanalyse.