Den Staaten drohen durch die europäische Einigung Legitimationsprobleme

Zweiter Teil der Gastprofessur

Wer den europäischen Einigungsprozess und die aktuellen Probleme Europas verstehen will, tut gut daran, die Vorlesungen von Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio an der Universität Trier zu besuchen. Umfassend, dennoch kompakt und verständlich, zeichnete der Rechtswissenschaftler an der Universität Bonn und Verfassungsrichter in seinem ersten Vortrag den Weg Europas heraus aus dem „Krieg der Nationen zur Einheit des Kontinents“ nach. Den  zweiten Teil seiner Gastprofessur widmete er am Montag dem Thema „Europa als Rechtsgemeinschaft: Das supranationale Projekt“ mit einem Blick auf die rechtliche und administrative Konstruktion des Zusammenschlusses.
Di Fabios Warnung, seine zweite Vorlesung habe einen juristisch geprägten und trockeneren  Inhalt, erwies sich als unbegründet. Der Verfassungsrichter bezog vielmehr auch pointiert  politische Positionen und legte den Finger in europäische Wunden.
Der Marktmechanismus, so Di Fabio, sei stets die treibende Kraft bei der Einigung Europas gewesen. Angefangen von der Montanunion, der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl seit den frühen 1950er-Jahren, bis zur Einführung der gemeinsamen Währung als Draufgabe zur wirtschaftlichen Einigung: stets stand der Wille, den freien Warenverkehr in Europa zu schaffen, im Hintergrund.
Mit der Montanunion wurde die erste supranationale Organisation errichtet. Auf der Basis eines Staatsvertrags übertrugen die Mitgliedsstaaten rechtliche Zuständigkeiten an eine „Hohe Behörde“, deren Beschlüsse innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs für die Staaten bindend waren. Supranationale Organisationen verfügen weder über eigentliche Souveränität, da die Rechte von den Staaten lediglich verliehen werden, noch über eine eigene Verwaltung. Unter Berücksichtigung der Vielfalt der Mitgliedsstaaten bedarf es äußerst detaillierter und komplexer Rechtsordnungen und Durchführungsbestimmungen. Bemühungen um Vereinfachung und Bürokratieabbau seien daher zum Scheitern verurteilt. „Die Undurchschaubarkeit liegt im Prinzip der Supranationalität begründet“, führte Di Fabio aus. Es entstehe das Problem, dass man diesen Zustand der Überfrachtung mit Detailproblemen den Bürgern nicht mehr vermitteln könne. Nach Ansicht des Verfassungsrichters drohen den Mitgliedsstaaten aufgrund des europäischen Dilemmas zusehends Legitimationsprobleme, wenn nicht gar die Gefahr einer Implosion.
„Die Idee der Einigung ist an einem Ende angelangt. Wir müssen jetzt bekennen: Was machen wir mit Europa?“, sieht er den Prozess am Scheideweg. „Es gibt Mittel gegen diese Gefahr“, kündigte Di Fabio an. Seine Lösungsvorschläge wird er zum Abschluss der Gastprofessur am Montag, 30. Mai, 18.15 Uhr im Audimax der Universität präsentieren. Titel der Vorlesung: „Politische und ideelle Perspektiven - Was kommt nach Lissabon?".