Selbstbestimmt leben
Für die Öffentlichkeit des späten 18. Jahrhunderts war der wohl bekannteste Essay des Philosophen „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ zunächst viel relevanter als seine Hauptschrift die „Kritik der reinen Vernunft“. Der Essay erschien 1784 in der „Berlinischen Monatsschrift“. Als Sprachrohr der Berliner Mittwochsgesellschaft, einer adlig-bürgerlichen Reformbewegung, beeinflusste die Zeitschrift die Debatte um Aufklärung in Preußen entscheidend. Wissen statt Aberglaube, begründete Urteile statt Vorurteile: Viele neue Ideen standen zur Debatte. Immanuel Kant hat mit der Veröffentlichung des Essays zugleich den Slogan der Aufklärung erschaffen: „Sapere aude! habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“
Moralisch handeln
Kants kategorischer Imperativ – wir sollen so handeln, dass die Maximen unserer Handlungen zu allgemeinen Gesetzen werden können – bietet auch heute einen verlässlichen moralischen Kompass. Unterschiedliche Kulturen, Religionen und Überzeugungen prallen in unserer globalisierten Welt häufig aufeinander. „Hier bietet Kants Ethik eine Möglichkeit, moralische Prinzipien zu finden, die für alle Menschen gelten könnten. Ein lebensnahes Beispiel sind Steuern. Wir sollten erkennen, was gerecht ist und dabei moralisches Handeln über unsere individuelle Präferenzen stellen“, erklärt die Leiterin der Kant-Forschungsstelle in Trier.
Rechtsphilosophie
Sowohl im ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als auch im ersten Artikel des Grundgesetzes findet sich Kants Idee der Würde des Menschen. Als vernunftfähige Wesen verfügen alle Menschen über Würde. Würde ist dabei ein absoluter Wert und ist unabhängig von Alter, Krankheit, sozialem Status und sogar davon, wir tatsächlich vernünftig handeln. „Der Gedanke, dass alle Menschen gleichermaßen Würde besitzen, war im 18. Jahrhundert keineswegs verbreitet. Heute bildet diese Vorstellung das Fundament moderner Menschenrechte und demokratischer Prinzipien“, erklärt die Philosophie-Professorin. Angesichts aktueller Debatten über Menschenrechte, Migration, und soziale Gerechtigkeit ist Kants Ethik ein wichtiger Bezugspunkt, um die universelle Gültigkeit und Unveräußerlichkeit dieser Rechte zu verteidigen.
Gesellschaft und Staat
Die Vorstellung, die Kant in seiner berühmtesten Schrift prägte, nämlich, dass wir als Menschen selbstdenkende und freie Individuen sind, war für die damalige Zeit revolutionär. Dass wir heute ein Recht auf freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und viele weitere Grundrechte in einer demokratischen Gesellschaft schätzen und leben, geht maßgeblich auf die Zeit der Aufklärung zurück. Immanuel Kants Vorstellung von Staat und Gesellschaft beruht auf der Idee der autonomen Vernunft des Individuums. Der Staat, so Kant, sollte nicht durch Zwang, sondern durch die Vernunft seiner Bürgerinnen und Bürger getragen werden. Freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit sind keine Geschenke an Untertanen, sondern notwendige Voraussetzungen für eine bürgerliche Gesellschaftsordnung und Frieden.
Frieden und Völkerverständigung
Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ ist ein visionärer Entwurf für eine Welt, in der Krieg durch rechtliche und diplomatische Strukturen überwunden werden könnte. „Für Kant ist Frieden nicht einfach ein natürlicher Zustand für uns Menschen. Um in Frieden leben zu können, müssen Menschen Teil einer bürgerlichen Ordnung sein, genauer einer republikanischen Verfassung“, so Kristina Engelhard. In Zeiten internationaler Spannungen und Konflikte, in denen globale Zusammenarbeit für Frieden und Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist, bleibt Kants Vision eine wertvolle Quelle der Inspiration für die Gestaltung einer friedlicheren Weltordnung. Zentrale Elemente dieser Ordnung sind ein Völkerbund freier Staaten, der auf gegenseitigem Respekt und der Einhaltung internationaler Rechtsnormen basiert und diplomatische Konfliktlösungen fördert.
Erkenntnistheorie und die Grenzen des Wissens
In „Kritik der reinen Vernunft“ stellt Immanuel Kant eine bahnbrechende Untersuchung der Bedingungen menschlicher Erkenntnis dar. Seine Einsicht, dass unsere Wahrnehmung und unser Wissen immer durch die Strukturen unseres Denkens und unserer Sinne vermittelt sind, mahnt uns zur Bescheidenheit und Selbstreflexion. In der heutigen Wissenschaft und Technologie, wo Wissen und Daten in nie dagewesenem Umfang verfügbar sind, bleibt Kants Frage nach den Grenzen unseres Wissens von zentraler Bedeutung.
Kants Lebenswerk beeinflusst nicht nur die Forschung zu philosophischen Theorien in der theoretischen und praktischen Philosophie an der Trierer Kant-Forschungsstelle, sondern wirkt bis heute auch als zentrale Quelle für die Reflexion über Freiheit, Verantwortung und die Gestaltung einer gerechten Welt. „Kant bietet mit seinen Erkenntnissen im 21. Jahrhundert eine fruchtbare Basis, aktuelles Weltgeschehen einzuordnen. Gleichzeitig gibt uns das für unsere philosophische Forschung ebenfalls neue Ansatzpunkte“, fasst die Trierer Philosophie-Professorin zusammen. In den letzten zwanzig Jahren etwa haben sich noch weitere Forschungsgebiete außer Kants Ethik- und Moralphilosophie hervorgetan. In der Kant-Forschungsstelle beschäftigen sich Kristina Engelhard und ihr Team seit einigen Jahren mit Kants früheren Schriften, die im starken Zusammenhang mit den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik stehen. „Isaac Newton hatte einen zentralen Einfluss auf Kants frühe Werke und auch auf seine zentralen Kategorien wie Raum, Zeit und Kausalität. Das wiederum hat natürlich Folgen für unsere heutige Arbeit und letztlich auch die Grenzen des wissenschaftlichen Wissens“, führt Engelhard aus. Auch nach 300 Jahren bleibt Kant für die Forschungsgemeinschaft sowie unser Alltagsleben relevant.